Falkner, Jäger und Schulwald: Die 6. Klässler der IGS auf der Pirsch
Es riecht noch leicht nach Regen, als die 75 Sechstklässler der IGS Stierstadt am Waldrand eintreffen. Der Boden ist feucht, die Blätter glitzern im sanften Licht, das immer wieder durch die schweren Wolken bricht. Nach Tagen des Regens ist der Wald heute still und erwartungsvoll – ein perfekter Tag, um die Natur hautnah zu erleben. In Zusammenarbeit mit den freiwilligen Helfern des Schulwalds Oberursel und dem Verein LON (Lernort Natur), einer Initiative des Deutschen Jagdverbandes, erwartet die Kinder ein spannender Waldtag.
Die erste Station führt die Kinder zu Christian Wick, dem Falkner, der stolz den majestätischen Seeadler Miron präsentiert. Der zweijährige Adler wiegt knapp fünf Kilogramm und hat noch viel zu lernen, wie Herr Wick den staunenden Kindern erzählt. An einer Leine geführt, ähnlich wie ein Hund, beeindruckt Miron mit seinen kräftigen Flügeln und seinem großen, gelben Schnabel. "Dieser Schnabel hat die Kraft, Knochen zu zerreißen," erklärt Wick, "aber er tötet seine Beute mit den Krallen." Die Kinder schauen fasziniert zu, als der Adler seine Flügel leicht abspreizt und den Schnabel öffnet. „Vögel können nicht schwitzen wie wir, sie müssen den Schnabel öffnen, um sich abzukühlen – ähnlich wie Hunde, die hecheln.“
Besonders beeindruckend ist für die Kinder die Fähigkeit des Adlers, ultraviolettes Licht zu sehen, wodurch er die Urinspuren von Mäusen wahrnehmen kann. „Für ihn leuchtet das Mäusepipi wie eine Autobahn“, erklärt Wick und bringt die Kinder damit zum Schmunzeln. Doch Miron bevorzugt größere Beute: Lachs, Fische, Seevögel und junge Robben stehen auf dem Speiseplan des Seeadlers. Als er schließlich seine imposanten Flügel ausbreitet, blicken die Kinder ehrfürchtig zu dem riesigen Raubvogel auf.
Auf die Frage des Schülers Fabio, wie lange ein Adler fliegen kann, erklärt Wick, dass das von der Thermik abhängt. "Ein Adler sitzt oft lange Zeit still und wartet auf den perfekten Moment, um mit minimalem Energieaufwand aufzusteigen." Auch die Kiste, in der der Adler transportiert wird, erweckt Neugier: „Warum hat die Kiste keine Fenster?“ Herr Wick erklärt, dass die Dunkelheit dem Greifvogel vorgaukelt, es sei Nacht, damit er sich ausruhen kann.
Weiter geht es mit der Vorstellung des jungen Inkafalken Pepe, der erst am 6. Mai geschlüpft ist. Seine scharfen, spitzen Flügel machen ihn zu einem äußerst schnellen Jäger. Mit einem Sturzflug von bis zu 340 km/h gehört der Wanderfalke zu den schnellsten Tieren der Welt. Pepe ist wohl nicht ganz so schnell. Fasziniert lauschen die Kinder, als Herr Wick den „Hakenreißschneideschnabel-Beißschnabel“ beschreibt, das Spezialwerkzeug des Falken. Das lange Wort wird von den Kindern wie ein Zungenbrecher immer und immer wiederholt, während sie zur nächsten Station weiterziehen.
Ein Höhepunkt des Tages ist die Pirsch durch den Wald, die von den Jägern des Vereins LON begleitet wird. In kleinen Gruppen durchstreifen die Kinder den Wald, halten die Augen offen und entdecken Spuren von Wildschweinen, die in der Nacht den Boden aufgewühlt haben. Petra Rehberg, seit 13 Jahren Jägerin, erzählt den Kindern von ihrer Arbeit und erklärt, wie wichtig die Jagd für das ökologische Gleichgewicht des Waldes ist. Sie berichtet von den Herausforderungen, den Wald und seine Lebensgemeinschaften zu erhalten, und die Kinder lauschen aufmerksam.
Am Ende der Pirsch erwartet die Kinder eine spannende Ausstellung: Tierfelle, Geweihe, Hörner und Hufe, die sie anfassen und begutachten dürfen. Einige Mädchen schmücken sich mit langen Geweihstangen, während zwei Jungen ein Fuchsfell wie ein Haustier streicheln. Die Begeisterung ist groß, als Manfred Tapfer, Präsident des Bad Homburger Jagdvereins, von Drohneneinsätzen erzählt, mit denen Rehkitze in Feldern gerettet werden. Der Schüler Jaron ist beeindruckt: „Sie retten Leben!“, ruft er voller Bewunderung.
Auch Frau Margarita Nekarda von der Jägervereinigung Usingen engagiert sich leidenschaftlich in der Kinder- und Jugendbildung. Sie erklärt den Kindern, wie wichtig es ist, die Tiere des Waldes, die man nur selten zu Gesicht bekommt, durch ihre Spuren oder Geräusche wahrzunehmen. "Wir wollen, dass die Kinder die Natur hautnah erleben – Tiere anfassen, ihre Felle spüren, ihre Geweihe in den Händen halten", sagt sie. Besonders bei der Station mit den Tierfellen und Hörnern erleben die Kinder den Wald auf eine ganz neue Art. Stolz schmückt sich eine Gruppe Mädchen mit langen Geweihstangen, während andere Kinder begeistert in einer Sandkiste die Hufabdrücke von Wildschwein und Reh nachbilden. Frau Nekarda lächelt, als sie sieht, wie die Kinder mit Freude und Neugier in die Welt des Waldes eintauchen.
Zum Abschluss des Waldtages versammeln sich die Kinder im Schulwald zu einer interaktiven Spielrunde mit der Biologin Petra Jung. Die Kinder reichen Zapfen und Nüsse hinter ihrem Rücken weiter und lernen so spielerisch die Früchte und Blätter der verschiedenen Bäume kennen. Justus beeindruckt mit seinem Wissen über Bäume, die ihre Nadeln alle auf einmal abwerfen, und Jaron erklärt den anderen Kindern, warum die Nadeln mit einer Wachsschicht überzogen sind, um im Winter nicht zu verdursten. Die Schülerin Lisa glänzt beim Blattmemory mit ihrem Wissen über Blattformen, und viele der anderen Kinder sind erstaunt, wie vielfältig die Welt der Bäume ist. Manche halten zum ersten Mal in ihrem Leben eine Esskastanie in den Händen.
Der Tag im Wald hat den Kindern nicht nur viel Wissen über die Natur vermittelt, sondern auch unvergessliche Eindrücke hinterlassen. Die IGS Stierstadt bedankt sich herzlich bei allen Helfern des Schulwalds Oberursel und des Vereins LON, die diesen besonderen Tag ermöglicht haben. Durch ihr Engagement konnten die Kinder die Natur hautnah erleben und ein tiefes Verständnis für den Wald und seine Bewohner entwickeln. Ein Tag, der sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Stierstadt, 10.10.2024